Nur Fliegen ist schöner

4 Feb. von michael

Nur Fliegen ist schöner

Er kommt! Lange, bevor wir den Helikopter zu Gesicht bekommen, hört man bereits den unverkennbaren Sound der Rotoren: schrapp, schrapp, schrapp, schrapp. Dann taucht der rot-weisse Airbus H125 von Swiss Helicopter am wolkenverhangenen Himmel auf. Wusch! Schon bläst es mir die Mütze vom Kopf – der Luftstrom, den der Hubschrauber bei der Landung erzeugt, ist enorm.
Da ist der Testwagen von Aston Martin schon etwas windschnittiger: Die Aerodynamik des brandneuen Vanquish S, der zwischen zwei europäischen Messen exklusiv bei uns Halt macht, wurde weiter verbessert. Frontsplitter und Heckdiffusor aus Sichtkarbon sollen den Auftrieb an der Fahrzeugfront deutlich verringern. Mal abgesehen davon, dass die unlackierten Karbonteile – die gesamte Karosserie besteht aus kohlefaserverstärktem Kunststoff – richtig edel aussehen lassen. Neu sind auch die fetten schwarzen Doppel-Endrohre am Heck. Da kann der Heli bestimmt nicht mithalten.


Von wegen! Die beiden baumstammdicken Abgasrohre des Turbinen-Triebwerks lassen selbst die Briten mit ihrem Super GT vor Neid erblassen. Na warte. Ich versuche es wie beim Autoquartett: Bei der Leistung kann der Aston den Helikopter ganz bestimmt ausstechen. Schliesslich leistet der frei atmende V12-Sauger des Vanquish S sogar noch 27 PS mehr als sein Vorgänger.
«Meiner bringt 600 PS und deiner?», frage ich herausfordernd. «847 PS», kontert Swiss Helicopter-Pilot Jürg Forrer locker und gelassen. Kein Wunder: Wer eben noch mit dem Kollegen Lawinen in den Bergen abgesprengt hat, lässt sich nicht so leicht aus der Ruhe bringen.
Beinahe wäre unser heutiges Rendezvous am Flugplatz Bad Ragaz ganz ausgefallen. Ausgerechnet, wenn wir für einmal mit so einem brachialen britischen Boliden unterwegs sind, kommt der Winter doch noch angehinkt. Das hätte es wirklich nicht mehr gebraucht! Wenigstens sind sowohl der Aston als auch der Helikopter wohlbehalten angekommen.

Höher, schneller, weiter?
Forrer hat sein Fluggerät erst einmal im Schnee abseits der Piste parkiert. Zusammen stapfen wir durch das unberührte Weiss, während er mir stolz von seiner Maschine erzählt: «Der hat einen Höhenrekord am Everest aufgestellt.» Also nicht dieser Heli, aber ein Hubschrauber gleichen Typs. Hierzulande ist der Airbus H125 Ecureil AS 350 B3, wie er mit vollem Namen heisst, immerhin für eine Flughöhe von 6000 Metern zugelassen. Bei Swiss Helicopter wird er vielseitig eingesetzt. Von Personentransport, Such- und Rettungsflüge bis hin zu Brand- und Katastropheneinsätzen. «Zu 85 Prozent machen wir mit dieser Maschine aber Materialtransporte, zum Beispiel für Baustellen», erklärt Forrer. Am Transporthaken kann der H125 bis zu 1200 Kilo Nutzlast befördern. Respekt, dem hat der Vanquish mit seinen 368 Kilo Kofferraumvolumen nicht viel entgegenzusetzen.
Zugegeben, ein unfairer Vergleich. Der Heli ist eben ein echtes Arbeitstier. Entsprechend rustikal geht es im Cockpit zu: Die Vorderdersitze bestehen aus einem unverkleideten Metallgestänge, das nur mit einem dünnen Polster bespannt ist. Und um überhaupt ins Cockpit zu gelangen, muss man schon ein bisschen klettern.
Ich darf mich indes auf dem Pilotensitz hinter dem Steuerknüppel breitmachen – Side-stick heisst der bei den Profis. Über den Hebel wird der Hauptrotor gesteuert. Die Fusspedale sind nicht etwa für Gas und Bremse, sondern steuern den Heckrotor. Tiefer steige ich gar nicht erst in die Bedienung ein, schliesslich strebe ich keinen Pilotenschein an. Vielleicht besser so! Die zahlreichen, teils digitalen, teils analogen Anzeigen, mit denen das «Armaturenbrett» übersät ist, überfordern mich schon. Eine Art Navi gibt es, dazu einen Höhenmesser – schliesslich muss sich der Helikopter-Pilot im dreidimensionalen Raum zurechtfinden, während der Autofahrer stets mit allen vier Rädern auf dem
Boden bleibt, zumindest wenn alles gut geht. Kein Wunder, dass man die Ausbildung zum Berufspilot nicht so einfach nachgeworfen bekommt. Rund ein Jahr dauert diese.

Nun will ich natürlich auch «mein» Baby vorführen. Also Rollentausch: Selbst wenn Jürg Forrer kein bekennender Autofan ist, hinter das Steuer des britischen Luxus-Sportwagens klemmt er sich trotzdem gerne. Wann hat man schon die Gelegenheit, in einem 300 000-Franken-Auto Platz zu nehmen? Anerkennend nickt der Pilot beim Blick auf das edle Armaturenbrett: Der Vanquish S ist fast vollständig mit sogenanntem Caithness-Leder aus einer schottischen Luxus-Gerberei ausgeschlagen. «Filograph» nennt sich das gesteppte Muster in den Sitzen und im Dachhimmel. Ausserdem findet sich dort ebenfalls jede Menge Karbon. Das «Chopped Carbon» in der breiten Mittelkonsole ergibt eine Art Marmoreffekt. Allein das Leder kostet so viel wie ein günstiger Gebrauchtwagen. Nice! Doch statt angesichts dieser Pracht ehrfürchtig zu erstarren, ist Jürg Forrer längst dabei, sämtliche Knöpfe zu drücken und ihre Funktion zu ergründen. «Ah, da ist die Rückfahrkamera!» Für einen Piloten sind die paar Tasten und Drehregler natürlich kein Buch mit sieben Siegeln. Aber auch jeder andere dürfte sich schnell zurechtfinden: Die riesigen Knöpfe für den Parkmodus, Leerlauf sowie Vorwärts- und Rückwärtsgang geben keine Rätsel auf. Am Lenkrad switcht man ausserdem vom Normal- auf den Sportmodus und stellt die adaptiven Dämpfer härter – that’s it! Auf die Rücksitze zu klettern ersparen wir uns anschliessend dann doch lieber. Die sind zwar ebenfalls schön ausgeformt und gesteppt, doch aufgrund der praktisch nicht vorhandenen Beinfreiheit halten es selbst Kurzgewachsene wie ich dort nicht aus. Als zusätzliche Ablageflächen taugen sie aber durchaus. Zum Abschluss darf Forrer den teils aus Glas bestehenden Fahrzeugschlüssel zum Start drücken: «Rooaaar!» Sogleich bellt der V12-Front Mittelmotor heiser los. Da huscht selbst dem eingefleischten Flieger ein Lächeln übers Gesicht, und im nahegelegenen Flugplatz-Restaurant drücken sie sich die Nasen an der Scheibe platt. Das tönt doch anders als eine der kleinen Propellermaschinen …

Das Wagnis beginnt
Nicht nur der Sound des Vanquish S ist brachial, auch das Drehmoment von 630 Newtonmetern, das auf die Hinterräder wirkt. Zu dumm, dass wir aufgrund der schlechten Witterung nicht aufs Ganze gehen können. Die Höchstgeschwindigkeit von 324 Stundenkilometern könnten wir hierzulande auf der Strasse zwar ohnehin nicht ausfahren, auf der 500 Meter langen Landebahn wären wir dem Heli mit einer Vmax von nur 287 km/h aber wohl davongefahren. Immerhin, bei der Anreise auf der geräumten Autobahn lässt sich erahnen, was für ein Ballermann der Aston tatsächlich ist. Er spricht vom Start weg spontan an und hängt perfekt am Gas. Die Achtstufen-Touchtronic der neuesten Generation wechselt die Gänge präzise wie ein Schweizer Uhrwerk. Und das überarbeitete Fahrwerk ist sportlich-straff ausgelegt, jedoch selbst im Sportmodus und mit angeschärften Dämpfern ausreichend komfortabel. Die Lenkung wirkt ebenfalls direkt – soweit man das unter diesen Umständen beurteilen kann: Abseits der Autobahn auf dem Weg zum Rollfeld ist der Asphalt völlig vereist und schlüpfrig wie ein Tanzbodenparkett. «Ist die Handbremse angezogen?», frage ich mich. Denn zunächst bewegt sich der Vanquish hier gar nicht vom Fleck. Die Räder blockieren. Erst mit ausgeschalteter Traktionskontrolle setzt sich der Aston langsam in Gang. Gas geben, Gas weg. Gas geben, Gas weg. So schaukele ich mich vorsichtig in Fahrt. Vollgas bringt gar nichts. Auf der zur Rutschbahn mutierten Landebahn auf Kurs zu bleiben,
erfordert ebenfalls Gefühl. Bei zu starken Lenkbewegungen
bricht sofort das Heck aus – trotz Sperrdifferenzial. Es ist einfach zuglatt. Dafür kann man am Ende des Rollfelds quasi im Stand wenden: Voller Lenkeinschlag und Vollgas, schon dreht sich der Bolide auf der Stelle. Gas weg und gegenlenken und er fährt wieder geradeaus. Das macht Laune! Dann ist es ein bisschen wie bei der Mär von Hase und Igel: Während ich noch wende, wartet Jürg Forrer am Ende der Bahn bereits auf mich, damit wir fürs Foto gemeinsam auf den Fotografen zufahren beziehungsweise -fliegen können. Ich kann ihn förmlich Däumchen drehen sehen da oben! Also los, Tempo aufbauen. Gas geben, Gas weg. Die Tachonadel bewegt sich langsam weiter. Gleichzeitig habe ich das Ende der Piste immer fest im Blick, schiele dabei gelegentlich nach links zum Fotografen, ob dieser parat ist. Dann höre ich wieder das Schrappschrapp des Heli. Erst hinter mir, dann über mir. Ein bisschen unheimlich: Ich höre ihn dicht über dem Dach, kann ihn aber nicht sehen. Fast wie die Szene aus dem Film «Apokalypse now», als die Luftkavalleriezu Beethovens Walkürenritt anrückt. Dann drückt Forrer richtig auf die Tube, der H125 taucht vor mir in der Windschutzscheibe auf und dreht ab. Im selben Moment steige ich voll auf die Bremse, lenke ein und gleite mehr oder weniger elegant um die Kurve am Ende der Landebahn. Nach ein paar Runden ist der Spuk schon wieder vorbei, und die sensationellen Fotos im Kasten. Schade, jetzt wo ich so richtig in Fahrt gekommen bin. Doch bei der vereisten Fahrbahn hat der Vanquish S leider trotzdem keine Chance gegen
den Helikopter. Aber wer weiss, vielleicht treffen wir uns hier ja
nochmals im Sommer. Denn bei trockenem Asphalt und eingeschaltetem Track-Modus dürfte die ganze Sache womöglich anders ausgehen …

Text: Michael Lux

Quelle: auto-illustrierte

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